Mitausche Straße 6
Der eingezäunte Bereich auf der rechten Seite der Postkarte vor dem Haus des Lettischen Vereins (Latviešu Biedrība) war der 1902 angelegte Hasenpothsche Pferdemarkt (siehe Markt). Links davon ist ein privater Gemüsegarten. Das zweistöckige Wohnhaus, in dessen Bauplänen bereits Räume für den Lettischen Verein Hasenpoth vorgesehen waren, wurde 1903 von Johann Jakobson auf seinem Privatbesitz errichtet.
Im Stadtplan von 1797 gibt es auf dem heutigen Grundstück Mitausche Straße 6 noch keine Bebauung. Der Eigentümer des Grundstücks, Sekretär des Piltenschen Kreisgerichtes (ab 1797), David Gottlieb Mondelius (1770-1831) preußischer Herkunft, stellte am 11. Februar 1797 dem Eigentümer des Gutshofes Rudbahren (Rudbārži) von Fircks einen Schuldschein über 127 Taler aus und bestätigte damit, dass er von ihm Material im Wert der genannte Summe zum Bau seines Hauses bekommen hatte. Im August 1798 war das Haus von Mondelius noch nicht fertig. Vermutlich wurde es erst um die Jahrhundertwende fertig gestellt.
Sicher weiß man, dass hier während der Seelenrevision 1811 das Wohnhaus des Advokaten des Oberhofgerichts (ab 1807) Mondelius stand. Der Witwer Mondelius wohnte hier mit seinen Kindern, seinem polnischen Kutscher Stanislaus Gerdrowitz und seinem lettischen Koch Ulrichs Villemsons. Villemsons war Leibeigener auf dem privaten Gutshof Sergemiten (Sermīte) in der Gemeinde Neuhausen (Valtaiķi) gewesen. Der wirkliche Staatsrat, Präsident des Piltenschen Landratskollegiums, Gutsherr Ulrich von Blomberg (1864-1944) hatte Villemsons seinen Freilassungsbrief im Jahr 1808 ausgehändigt.
Es ist bekannt, dass Mondelius hier im Jahr 1827 mindestens ein massives Haus gehabt hat.
Während der Seelenrevision des Jahres 1834 war der freigelassene Lette noch immer Koch in diesem Haus. Jetzt war aber sein Nachname nicht mehr Villemsons, sondern Willumsohn.
1831 nach dem Tode von Mondelius erbte seine Witwe Dorothea Sofia Henriette Mondelius geb. von Grotthuß mit ihren Kindern.
1832 fand eine Revision des Nachlasses von Mondelius statt. Über das Wohnhaus stand im Protokoll: „eingeschossiges gemauertes Gebäude mit zwei hölzernen Flügeln, einer davon zweistöckig.“
Auf Grund des Erbauseinandersetzungsvertrages wurde 1839 der Sohn des Verstorbenen, Kandidat der Rechte Georg Rudolf Mondelius, Eigentümer.
1847 verkaufte er sein Eigentum für 2.950 Silberrubel seiner Schwester Fräulein Wilhelmine Caroline Mathilde Mondelius. Sie verkaufte 1850 beide auf dem Grundstück Mitausche Straße 6 und an der Bojenschen Straße stehenden Wohnhäuser für 3.350 Silberrubel an Friedrich Reinhold Baron Stempel.
Diese alte Eintragung im Grundbuch beider Häuser an der Mitauschen und Bojenschen Straße (heute Kalwensche Straße 7) als auch der Hasenpother Stadtplan von 1797 lassen schließen, dass die Häuser Mitausche Straße 6 und Kalwensche Straße 7 ursprünlich ein Grundstück gewesen sind, zu dem außerdem das später abgetrennte Grundstück Kalwensche Straße 9 gehört hat.
Baron Stempels Erben verkauften das ganze Anwesen (2 Wohnhäuser mit Obstgarten) im Jahr 1859 dem Händler II. Gilde Markus Koenigsfest für 8.000 Silberrubel.
Der große Preisunterschied lässt die Vermutung zu, dass Baron Stempel anstelle des Hauses von Mondelius ein neues Haus gebaut hat. Doch während der Seelenrevision von 1863 bestand das Grundstück von Koenigsfest nur noch aus einem hölzernen Wohnhaus und 2 Ställen/Scheunen, in denen 1 Pferd und 2 Kühe gehalten wurden. In 6 Zimmern des Wohnhauses wohnte die 6-köpfige Familie des Spiritusbrenners Mendel Herzberg und in 3 Zimmern die 4-köpfige Familie des Metzgers Abraham Michelsohn.
Da Stadthaupt Carl Bellmer die Umfrageliste ausgefüllt und unterzeichnet hat, ist zu vermuten, dass die Information korrekt ist.
1866 verkaufte Koenigsfest sein Anwesen dem Brandmeister Heinrich Kunstmann für 6.000 Silberrubel. Der verkaufte es 1869 Markus Koenigsfest.
1873 kaufte dann Karl Baron Osten-Sacken das Anwesen auf einer Versteigerung für nur 800 Rubel. Von ihm kauften 1876 der Gartenarchitekt Wilhelm Bensdorf und seine Frau Eliese Bensdorf für 2.800 Silberrubel.
1880 verkauften Bensdorfs ihr Eigentum Sahra Stember für 4.300 Rubel.
1886 wurde der Schuster Kristian Valentin laut Gerichtsbeschluss Eigentümer dieses Grundstücks, das er auf einer Auktion für 2.250 Rubel gekauft hatte. 1897 sei auf diesem etwa 1266 m² großen Grundstück ein massives Haus mit 2 Anbauten und 2 hölzernen Schuppen gewesen. 1900 soll der Wert 2.550 Rubel gewesen sein.
Im Herbst 1901 wurde Emma Valentin, Tochter des verstorbenen K. Valentin, vom Libauschen Bezirksgericht als Erbin bestätigt. Im Sommer 1902 verkaufte sie die Liegenschaft für 3.495 Rubel an Johann Jakobson. Er riss Valentins altes Haus ab und baute 1903 an gleicher Stelle das Gebäude, das auf der Postkarte zu sehen ist. 1910 soll dieses Anwesen 12.188 Rubel wert gewesen sein.
Im Herbst 1912 verkaufte Jakobson sein Grundstück dem Hasenpothschen Stadthaupt Eduard Schroeder, der sofort die Miete für den Lettischen Verein erhöhte.
1922 kaufte Andžs Ošis das Grundstück von Schroeder. Er überschrieb 1928 diese mit 24.200 Lat Hypothekenschuld belastete Immobilie auf seine beiden Töchter, die sie 1939 dem Hasenpothschen Handwerkerverein für 13.500 Lat verkauften. Aber schon im Sommer 1940 wurde die Hasenpothsche Abteilung der Libauschen Arbeitergewerkschaft Eigentümer.
Es ist bekannt, dass in dem alten, 1902 abgebrochenen Gebäude, im 19. Jh. die vom Lehrer Eduard Seeberg geleitete Elementarschule 3. Ordnung für Knaben gewesen ist. Die Schule war seit 1875 in Hasenpoth und wurde von Seeberg mindestens bis 1885 geleitet. 1884 verdienten hier auch der Schuster Kristian Valentin, der Schreiner Ernst Hermelin und der Malermeister Heinrich Richter ihr tägliches Brot. In diesem Haus war auch der vom Kommis 2. Klasse Itzig Stember geführte Nähmaschinenhandel des Preußischen Staatsbürgers Georg Neidlinger.
1893 hatten im Valentinschen Haus Fritz Knittner sein Büffet und 1896 Emma Valentin ihren Bier- und Porterverkauf.
Im Jakobsonschen Hause war im Herbst 1903 die staatliche Hasenpothsche Elementarschule für Mädchen mit der Schulleiterin Xenia Hļebnikova eine der ersten Mieterinnen. Der Mietvertrag mit der Leiterin der Schule Fräulein Hļebnikova wurde nur auf ein Jahr geschlossen, weil der Hausbesitzer diese Räume für den Lettischen Verein reserviert hatte, dessen Satzung zu dem Zeitpunkt noch nicht bestätigt war. Die Satzung wurde im März 1904 bestätigt und die feierliche Eröffnung in diesem Haus, das zum Lettischen Kulturzentrum in Hasenpoth wurde, fand am 19. September 1904 statt. Anlässlich der Eröffnung gab es ein Festessen mit feierlichen Ansprachen, einem Konzert und Theatervorstellung am Abend. Im Erdgeschoss waren sowohl ein Zuschauersaal mit Bühne für Theatervorstellungen und Vorlesungen, als auch ein Büffet eingerichtet. Im Winter 1907 fand im Gemeindesaal die erste Kinovorführung in Hasenpoth statt. Genauere Information darüber fehlt leider.
Der Lettische Verein verfügte auch über eine für die Zeit gute Bibliothek.
1911 hatte die Bibliothek 592 Bücher und etwa 231 Leser. Die höchste Zahl an Büchern - 121(!) - hatte eine Hasenpother Schülerin gelesen.
1913 gab es in der Bibliothek „beinahe 800“ Bücher.
1911 wurden 9 Theaterstücke aufgeführt.
1905 - (in den Tagen der Revolution) war hier das Büro des revolutionären Exekutivkomitees des Kreises Hasenpoth. Doch es folgten nach den Ereignissen von 1905 keine Sanktionen gegen den Lettischen Verein. Von den Aktivitäten des Hasenpothschen Lettischen Vereins zeugt der Jahresbericht 1906. Er hatte 1.609 Rubel 98 Kopeken Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge, Einnahmen aus Theatervorstellungen und aus dem Büffet. Miete, Organisation der Vorstellungen, Inventar, Bücher und sonstige Ausgaben betrugen 1.575 Rubel 53 Kopeken. Das Guthaben zum 1. Januar 1907 war 34 Rubel 45 Kopeken. Der Verein setzte seine Tätigkeit bis zum Sommer 1914 fort, bis er auf Grund einer Denunziation über angeblich herrschende sozialdemokratische Tendenzen geschlossen wurde.
In den Jahren des Ersten Weltkrieges befanden sich hier Andžis Ošis’ Trakteur, Bier- und Weinausschank mit Essensausgabe und Fritz Tiefenthals Schneiderwerkstatt. Im September 1918 war hier die Kommandantur.
Das Besichtigungs- und Bewertungsprotokoll der städtischen Baukommission vom 28. August 1919 gibt uns eine genauere Vorstellung von den Innenräumen des Hauses.
„Im Erdgeschoss des Gebäudes sind: eine Dreizimmerwohnung mit Küche, eine Zweizimmerwohnung mit einem (nichtbewohnbaren) Saal.
Im Obergeschoss sind: eine Dreizimmerwohnung ohne Küche, eine Zweizimmerwohnung mit Küche, noch eine Zweizimmerwohnung mit Küche, ein Zimmer ohne Ofen, ein Zimmer mit integrierter Küche und noch ein Zimmer mit integrierter Küche.“
In den 1920er Jahren war hier immer noch die Schneiderwerkstatt von Fritz Tiefenthal. 5 Räume mietete der Arbeitersportverein der sozialdemokratischen Jugendorganisation (auch Arbeitersport & Wache genannt) - lettische Abkürzung dafür SSS (Strādnieku Sports un Sargs). Auf der Sitzung des Stadtrates am 19. Januar 1923 ,,wird einstimmig (mit einer Enthaltung) beschlossen, den Antrag der Hasenpothschen Abteilung des Arbeitersportvereins,auf Genehmigung eines Büffet mit dem Ziel, das notwendige Geld zur Deckung der Raumkosten und Anschaffung von notwendigem Inventar zu erlangen, zu befriedigen. Es wird erlaubt, ein Büffet in den Räumen des Hause Mitausche Straße 6 in Hasenpoth mit Ausschank von alkoholischen Getränken, einzurichten.“ 1929 bekam der Verein „Sport und Wache“ seine Schanklizenz für Bier und inländische Obst- und Beerenweine in der Mitauschen Straße 6.
Am 14. Dezember 1924 beteiligte sich an der Sitzung der Hasenpothschen Abteilung des SSS deren Gründer (1921) und Leiter (1921-1934) Bruno Kalniņš. Am 8. August 1926 besuchte der Dichter Jānis Rainis die Konferenz der LSDSP (Der Lettischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei) Hasenpoth.
Seit 1935 waren in diesem Haus die Räume des Vereins „Sechster Hasenpothscher Schutzmannsportklub“ mit einem geräumigen Saal, Bühne und außerdem mit einem Büffet. Seit 1939 war hier der Hasenpothsche Handwerkerverein. Im Herbst 1940 erlaubte der Stadtälteste Girts Jansons der Hasenpothschen Abteilung der Libauschen Arbeitergewerkschaft in ihrem Haus Mitausche Straße 6, einen Speisenverkauf mit Bier- und Tabakhandelsrecht zu eröffnen.
Heute ist es ein privates Wohnhaus. Im Erdgeschoss Werkstatt für Fahrradreparatur von Dimze und Geschäftsräume für einen Gartenbaubetrieb.